Mittwoch, 29. März 2017

Wieder sehen lernen…







Wieder sehen lernen…

„Man sieht nur mit dem Herzen gut- das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar.“


Die Worte von Antoine de Exupery sind uns nicht fremd und doch ist das Sehen mit dem Herzen eine der größten Herausforderungen in zwischenmenschlichen Begegnungen. Da brauchts nämlich eine Voraussetzung und wie das nun mal so ist, nimmt alles IN UNS seinen Anfang.

Die Fähigkeit, Andere  mit dem Herzen zu sehen, vermag sich  nur dann zu erschließen, wenn wir unserer Herzensregion selbst nahe gekommen sind. Jede Brücke ins Außen setzt voraus, dass wir zunächst in unserem eigenen “Land“ heimisch werden, dass es uns gelingt, uns selbst mit dem Herzen zu sehen. Genau das ist der springende Punkt, der in unserem Miteinander für so viel Unfrieden,  Ungerechtigkeit, Verurteilung und Unverständnis sorgt.

Wer nicht in seine tiefsten Schluchten hinabsteigt, sich mit dem Schmerz auseinandersetzt- der bleibt an der Oberfläche und somit im Verstand. Doch ein Verstand sieht absolut anders als das Herz- beruft sich auf seine erlernten Schutzhaltungen der Schmerzvermeidung und neigt dazu, Probleme ins Außen zu verlagern. Ist mir damals nicht anders ergangen, als ich ständig der Ansicht war, dass „jene da draußen“ zuständig seien für meinen Schmerz und meinen Unfrieden. Klar, es  lenkt vom Wesentlichen ab und man braucht sich nicht mit sich selbst auseinander zu setzen. Doch hier vermag ich ein Beispiel anzuführen: Zeigte ich mit einem Finger auf Andere, dann hätte ich mir klarwerden sollen, dass bei dieser Handhaltung unwillkürlich immer drei Finger auf mich zeigten! Diese drei Finger nämlich waren der Aufruf, mich zurück zulehnen mit der Frage: Sind wirklich die Anderen die Verursacher für meinen Schmerz oder gibt es da etwas Unerlöstes in mir, das nach Aufmerksamkeit ruft? Das Außen  macht nichts Anderes, als mir meine inneren Baustellen ins Bewusstsein zu rufen- somit ist es ein großes Geschenk an mich, denn wir sind ja hier, um in unsere Heilung zu kommen.

Es gibt ja eine recht weise Vorhersage:

„Wir werden im Leben so lange lernen,
bis wir weich werden,
weil das Weiche und Sanfte eh
alles Harte und Starke überdauern wird.“

Warum das so ist? Alles Weiche, Sanfte, Sensible, Verletzliche geht konform mit unserer wahren Natur und in uns ruft es unaufhörlich nach dem Zustand des harmonischen Einklangs mit uns selbst. Ohne Frage tragen wir im Grunde alle die eine Sehnsucht in uns: Sehnsucht nach der bedingungslosen Liebe, nach dem vollkommenen Frieden und nach dem hohen Maß an Gerechtigkeit.

Kein Text bringt das so klar zum Ausdruck wie die Worte von Franz Schmatz:


Da wurde ich anders!

Eine Zeitlang bewunderte ich jene,
die nie sagten: "Ich bin müde" ,
die nie klagten: "Ich kann nicht mehr"
die nie fragten: "Wer hilft mir?"

Eine Zeitlang beneidete ich jene,
die immer lächelten,
die alles schaffen,
die ständig geben,
die keine Träne zulassen,
die nie jammern,
die stets selbst zurückstehen,
die rund um die Uhr zur Verfügung stehen.

Doch dann durfte ich Menschen begegnen,
die weinen konnten,
die um Hilfe bettelten
die sich schwach wähnten,
die Zuwendung brauchten,
die Sinn suchten,
die verwundbar waren,
die an Erschöpfung litten,
die Fragen stellten,
die sich helfen ließen.

Heute weiß ich,
diese Menschen ließen mich
anders werden,
nämlich mehr Mensch.

Franz Schmatz

Gut, ich könnte hier schon wieder fluchen angesichts der Tatsache, dass man uns diese weiche Form des Menschseins niemals zugestand. Man muss sich das vor Augen führen: Eigentlich ruft es in jedem von uns nach dieser Sanftheit, dem Zulassen von Schwäche, Zweifeln, Hilflosigkeit, Verletzlichkeit und doch scheint es nicht gesellschaftsfähig zu sein! Da laufen wir herum und suchen nach Beifall, wollen gefallen, demonstrieren Stärke und bedienen uns der erlernten Strategien, machen auf perfekt und immerglücklich ………………………und in uns, das krümmt sich die Seele vor Schmerz angesichts dieser Untreue ! Bei so viel Widerspruch in sich selbst da muss man ja irgendwann krank werden. Was für ein Kampf gegen das eigene Wesen, das vom Urzustand her reine Harmonie ist.

So wird’s dann auch nichts mit dem richtigen Sehen, denn welch ein überzogener Anspruch: den Anderen mit dem Herzen sehen, spüren  zu wollen, ohne sich selbst je gesehen, erspürt zu haben in all den menschlichen Schwächen und Ungereimtheiten. In uns, da muss es erst einmal leer werden, damit die gewünschte Fülle überhaupt einziehen kann. All die ausgedienten Gewänder der alten Glaubenssätze, Überzeugungen, falschen Wahrheiten dürfen sich verabschieden, bis wir nackt dastehen, um uns dann in völlig neue Lebenswahrheiten einzuhüllen.


Christian Morgenstern schrieb:

„Eigentlich ist alles schön, was wir mit Liebe betrachten!“


Es mag sein, dass solch eine Aussage zunächst auf Widerspruch stößt und doch sag ich heute: Jeder von uns trägt diese Fähigkeit seit der Kindheit in sich, denn als Kinder empfanden wir von allein ALLES schön! Wir gingen auf du und du mit allem, was uns begegnete- wir liebten unsere kleine Welt, sprühten voller Lebensfreude, Verurteilung war uns völlig fremd! Getrennt wurden wir „nur“ dadurch, dass man uns von unserer inneren Erlebnisfähigkeit abschnitt- doch sie ging nicht verloren! Sie wartet immer noch auf uns- tief drinnen, und wir werden sie entdecken, wenn wir uns selbst wieder begegnen, wenn wir es zulassen, uns selbst wieder lieb zu haben.


Immer und immer wieder wird die Liebe Antwort auf alles sein! Liebe zu uns selbst, zu diesem Gesamtpaket an Stärken, aber auch Schwächen- Liebe unseren Gefühlen gegenüber, ob nun in hell oder dunkel- Liebe hinsichtlich unserer erlebten Geschichte. Ich weiß, gelebtes Leben kann in die Verbitterung führen- man fühlt sich schlecht behandelt vom Leben angesichts des erfahrenen Schmerzes. Doch auch hier sehe ich alles „in Liebe“- denn nur mein Schmerz ließ mich sehend werden! Niemals wäre ich sonst in der Lage, mich in andere Menschen hinein zu fühlen, sie irgendwie zu verstehen, statt  zu verurteilen.


Ja, auch wir dürfen uns zu jeder Zeit eine liebevolle Haltung entgegenbringen und uns sagen: Wir haben in jedem Moment unseres Lebens immer richtig gehandelt, so, wie es uns gemäß unseres derzeitigen Bewusstseins möglich war. Wenn ich heute da stehe, wo ich stehe und erkenne, was ich alles „falsch“ machte in meinem Leben- dann verurteile ich mich nicht für diesen oder jenen Fehler. Im Gegenteil- ich bin  dankbar für jede neue Einsicht, die ich gewinnen durfte. Genau darum gehts doch im Leben- dass wir uns kontinuierlich weiter entwickeln- es geht doch nicht um die Summe unserer Fehler oder um ständige Schuldzuweisungen.

Ich weiß, es wird niemals den perfekten inneren Zustand geben- oft scheint in uns das größte Chaos zu herrschen- da kommen Fragen, Zweifel auf und dennoch ist genau dieser Zustand vollkommen! Stellen wir uns mal vor, wir wären der Ansicht, irgendwie fertig zu sein- es wäre doch ein total langweiliges Dasein! Wer hat sich schon vollkommen selbst entschlüsselt, sein facettenreiches oft widersprüchliches Wesen grundlegend durchforstet?

Für mich wurde halt  eines wichtig: dass ich heute weiß, wofür ich stehe und gehe, bezüglich meines Wertesystems und meiner Wegrichtung. Was die Welt mir da draußen erzählt, das lasse ich außen vor, sofern es nicht mit meinem gewachsenen Verständnis übereinstimmt. Wem müssen wir Rechenschaft abgeben? Nur uns selbst gegenüber, auch wenn es uns anders gelehrt wurde. Wollten wir es allen Menschen Recht machen- wir kämen aus dem „Tun“ und „Machen“ gar nicht mehr heraus.

Nur aus der Haltung der liebevollen Selbstbestimmung erwächst die Haltung der liebevollen Zuwendung zum Anderen hin, lässt uns Brücken bauen. Nehme ich mich bedingungslos an, wird es mir auch im Außen gelingen, weil mir irgendwann bewusst wurde, dass es nichts Schöneres geben kann als das wahre klare So- sein. Es ist nicht die Verstandeshülle, die Menschen anzieht- es wird immer die Resonanz der Innenwelt sein- wenn Seele und Seele auf Empfang gehen und einer sich im anderen erspürt.

Und außerdem- ich gehe einfach davon aus, dass in jedem Menschen der Wunsch beheimatet ist nach einem friedlichen bereichernden Miteinander- dass unsere Daseinsfreude über allem anderen steht! Eigentlich suchen wir den Frieden und nicht den Krieg. Niemand möchte einen anderen wirklich verletzen und wenn es dann doch geschieht, sind zumeist nur die überholten frühkindlichen Glaubenssätze daran beteiligt, welche uns so weit von uns selbst entfernten.


Wir sind absolut vollkommen und das in der gefühlten unperfektesten Ausgabe unserer selbst. Jeder Mensch, der gemäß seiner Fähigkeiten und Möglichkeiten agiert, ist vollkommen in sich! So und nicht anders sind wir von Gott gewollt, warum sollten wir uns dann selbst geringer sehen? Es gilt  auch nicht, sich irgendwelchen äußeren Strukturen anzupassen- es gilt nur der Ausdruck des puren authentischen Seins! Mehr Ausdruck wird von uns in diesem Leben nicht verlangt.


Es liest sich jetzt etwas nach Abgrenzung- doch es ist nur Ausdruck unserer menschlichen gottgegebenen Einzigartigkeit, Ausdruck unseres Urbedürfnisses. Wir dürfen nicht vergessen: Wir kommen zwar alle aus dem selben Wald und doch ist jeder aus seinem ganz eigenen Holz geschnitzt. Ich weiß auch, dass es gerade diese Einmaligkeit ist, die ein fruchtbares Miteinander ermöglicht, denn gesellt sich Einzigartigkeit zu Einzigartigkeit und  dann ist es einzigartig hoch zwei!

Der folgende Satz hat es mir besonders angetan:

„Lieben wir eigentlich, was schön ist
oder wird etwas schön, weil wir es lieben?“

Der Begriff von wahrer Schönheit- ist so eine Sache für sich, denn wieder muss ich unterscheiden, aus welcher Quelle die Sichtweise sprudelt: Verstand oder Herz? Ein Verstand setzt auf äußere herkömmliche Kriterien und  ein gewisses Schubladendenken. Kennen wir alle: die spontane Reaktion auf Menschen und der Hang, diese ruck zuck in entsprechende Schubladen zu stecken und für immer darin zu lassen. Wie rasch picken sich Menschen das Fehlerhafte bei Anderen heraus- wie viel schöner wäre es doch, sich auf das Gute und Einzigartige zu besinnen, das jeder in sich trägt! Loben, bestätigen, einander  stärken, versuchen zu verstehen, sich in den Anderen hineinzufühlen- all diese Gesten sind doch viel fruchtbarer, als ständig nach dem Unperfekten zu suchen. Fehler, die machen wir alle- wir alle sind herrlich unperfekt – doch möchte nicht jeder so angenommen werden, wie er nun mal ist? Wer kann schon aus seiner Haut heraus? Wer wird jemals gegen seine Einzigartigkeit ankämpfen können? Leben und leben lassen- ich denke, das ist eine sehr fruchtbare Haltung des Herzens.

 Einem Herzen ist es eigentlich nur wichtig, sich nach dem zu richten, was es FÜHLT, und es reicht, zu spüren, wie gut es sich anfühlt, mit dem oder dem Menschen zusammen zu sein.

Nicht unbegründet erwuchs in mir der Wunsch, Menschen würden sich nur als „ nackte“ Seelen begegnen, denn ich vermag mir vorzustellen, wie groß dann die gegenseitige Bereicherung wäre- ohne dieses Verstandesdenken, ohne diese spontane Vorverurteilung, ohne die Schubladen mit vorgefertigter Etikettierung!  Dann nämlich wird alles schön-  wir lieben es einfach, weil es sich gut anFÜHLT!

Schau ich mir den Wandel der Zeit an, dann gehe ich davon aus, dass sie nach diesem neuen Erspüren ruft- weg vom Verstand, seinen sachlichen Ordnungsprinzipien und hinein ins Erspüren. Unsere sensible Seite ist wieder gefragt, denn sie wird uns helfen, das Unwesentliche vom Wesentlichen zu unterscheiden.

Und hier bin ich wieder bei der Wahrheit von Osho angelangt, die da lautet:

„Alles, was sich für dich schön anFÜHLT- das ist deine Wahrheit- eine andere Wahrheit gibt es nicht.“

Mit diesem Gefühl im Gepäck können wir nämlich durch alle unsere Lebensbereiche spazieren, um zu erspüren, wie es sich anfühlt. Ob im beruflichen Bereich, in der Partnerschaft, in der Freundschaft, hinsichtlich jeder einzelnen Entscheidung, denn unser Gefühl betrügt uns niemals und ist somit der ultimative Glücksgarant für ein wirklich erfülltes Leben. Ohne Frage ist dies ein Prozess der besonderen Art und wollte ich mich eines Bildes bedienen, dann würde ich sagen: Wir sind aufgefordert, unsere innewohnenden Antennen wieder zu mobilisieren, das Erspüren wieder zu lernen!

Es ist nicht wichtig, wo ich mich aufhalte- wenn es sich gut anfühlt, dann ist das mein Ort und umgekehrt ebenso zutreffend. Man entwickelt mit der Zeit ein unheimliches Feingespür für das eigene Wohlgefühl und dann ernennt man irgendwann nur noch dieses Gefühl zum Richtungsweiser. Aus dem Grund meide ich auch grundsätzlich jene Gruppen, in denen Verurteilung, Diskriminierung anderer Usus ist, weil es mir einfach nicht gut tut. Nein, ich verurteile jene Menschen nicht, weil ich versuche, ihre Haltung zu verstehen- doch dort ist nicht mein Wohlfühlort.

Hätte !! ich diese Haltung früher konsequent gelebt- ich hätte mir viel Schmerz ersparen können und wäre immer auf dem für mich optimalen Weg gewesen. Aber wahrscheinlich waren es gerade die Irrwege und Umwege, die Sackgassen, die mich letztendlich in diese Erkenntnis führen sollten. Denn nichts, was geschieht, ist jemals ohne einen tiefen Sinn.
Darum lieb ich das Leben so! Es spricht zwar nicht von glatten asphaltierten Wegen- lässt mich zigmal hinfallen- fügt mir tiefe Wunden zu, doch im Endeffekt agiert es aus reiner Liebe zu mir, weil es weiß, dass nur die hautnahe Erfahrung neue Einsichten erwachsen lässt. Kein noch so gutes Fachbuch vermag mir das aufzuzeigen, was mich jede schmerzvolle Erfahrung lehrt.

Und wozu soll das alles gut sein?


Hier bediene ich mich der erleichternden Aussage von Franz Schmatz:

Dieses Leben lässt mich „anders werden“- nämlich mehr fühlender Mensch!


*Linda*

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