Wieder sehen lernen…
„Man sieht nur mit dem Herzen gut- das Wesentliche ist für
die Augen unsichtbar.“
Die Worte von Antoine de Exupery sind uns nicht fremd und
doch ist das Sehen mit dem Herzen eine der größten Herausforderungen in
zwischenmenschlichen Begegnungen. Da brauchts nämlich eine Voraussetzung und
wie das nun mal so ist, nimmt alles IN UNS seinen Anfang.
Die Fähigkeit, Andere
mit dem Herzen zu sehen, vermag sich
nur dann zu erschließen, wenn wir unserer Herzensregion selbst nahe
gekommen sind. Jede Brücke ins Außen setzt voraus, dass wir zunächst in unserem
eigenen “Land“ heimisch werden, dass es uns gelingt, uns selbst mit
dem Herzen zu sehen. Genau das ist der springende Punkt, der in unserem
Miteinander für so viel Unfrieden,
Ungerechtigkeit, Verurteilung und Unverständnis sorgt.
Wer nicht in seine tiefsten Schluchten hinabsteigt, sich mit
dem Schmerz auseinandersetzt- der bleibt an der Oberfläche und somit im
Verstand. Doch ein Verstand sieht absolut anders als das Herz- beruft sich auf
seine erlernten Schutzhaltungen der Schmerzvermeidung und neigt dazu, Probleme
ins Außen zu verlagern. Ist mir damals nicht anders ergangen, als ich ständig
der Ansicht war, dass „jene da draußen“ zuständig seien für meinen Schmerz und
meinen Unfrieden. Klar, es lenkt vom
Wesentlichen ab und man braucht sich nicht mit sich selbst auseinander zu
setzen. Doch hier vermag ich ein Beispiel anzuführen: Zeigte ich mit einem
Finger auf Andere, dann hätte ich mir klarwerden sollen, dass bei dieser
Handhaltung unwillkürlich immer drei Finger auf mich zeigten! Diese drei Finger
nämlich waren der Aufruf, mich zurück zulehnen mit der Frage: Sind wirklich die
Anderen die Verursacher für meinen Schmerz oder gibt es da etwas Unerlöstes in
mir, das nach Aufmerksamkeit ruft? Das Außen
macht nichts Anderes, als mir meine inneren Baustellen ins Bewusstsein
zu rufen- somit ist es ein großes Geschenk an mich, denn wir sind ja hier, um
in unsere Heilung zu kommen.
Es gibt ja eine recht weise Vorhersage:
„Wir werden im Leben so lange lernen,
bis wir weich werden,
weil das Weiche und Sanfte eh
alles Harte und Starke überdauern wird.“
Warum das so ist? Alles Weiche, Sanfte, Sensible,
Verletzliche geht konform mit unserer wahren Natur und in uns ruft es
unaufhörlich nach dem Zustand des harmonischen Einklangs mit uns selbst. Ohne
Frage tragen wir im Grunde alle die eine Sehnsucht in uns: Sehnsucht nach der
bedingungslosen Liebe, nach dem vollkommenen Frieden und nach dem hohen Maß an
Gerechtigkeit.
Kein Text bringt das so klar zum Ausdruck wie die Worte von
Franz Schmatz:
Da wurde ich
anders!
Eine Zeitlang bewunderte ich jene,
die nie sagten: "Ich bin müde" ,
die nie klagten: "Ich kann nicht mehr"
die nie fragten: "Wer hilft mir?"
Eine Zeitlang beneidete ich jene,
die immer lächelten,
die alles schaffen,
die ständig geben,
die keine Träne zulassen,
die nie jammern,
die stets selbst zurückstehen,
die rund um die Uhr zur Verfügung stehen.
Doch dann durfte ich Menschen begegnen,
die weinen konnten,
die um Hilfe bettelten
die sich schwach wähnten,
die Zuwendung brauchten,
die Sinn suchten,
die verwundbar waren,
die an Erschöpfung litten,
die Fragen stellten,
die sich helfen ließen.
Heute weiß ich,
diese Menschen ließen mich
anders werden,
nämlich mehr Mensch.
Franz Schmatz
Eine Zeitlang bewunderte ich jene,
die nie sagten: "Ich bin müde" ,
die nie klagten: "Ich kann nicht mehr"
die nie fragten: "Wer hilft mir?"
Eine Zeitlang beneidete ich jene,
die immer lächelten,
die alles schaffen,
die ständig geben,
die keine Träne zulassen,
die nie jammern,
die stets selbst zurückstehen,
die rund um die Uhr zur Verfügung stehen.
Doch dann durfte ich Menschen begegnen,
die weinen konnten,
die um Hilfe bettelten
die sich schwach wähnten,
die Zuwendung brauchten,
die Sinn suchten,
die verwundbar waren,
die an Erschöpfung litten,
die Fragen stellten,
die sich helfen ließen.
Heute weiß ich,
diese Menschen ließen mich
anders werden,
nämlich mehr Mensch.
Franz Schmatz
Gut, ich könnte hier schon wieder fluchen angesichts der
Tatsache, dass man uns diese weiche Form des Menschseins niemals zugestand. Man
muss sich das vor Augen führen: Eigentlich ruft es in jedem von uns nach dieser
Sanftheit, dem Zulassen von Schwäche, Zweifeln, Hilflosigkeit, Verletzlichkeit
und doch scheint es nicht gesellschaftsfähig zu sein! Da laufen wir herum und
suchen nach Beifall, wollen gefallen, demonstrieren Stärke und bedienen uns der
erlernten Strategien, machen auf perfekt und immerglücklich ………………………und in
uns, das krümmt sich die Seele vor Schmerz angesichts dieser Untreue ! Bei so
viel Widerspruch in sich selbst da muss man ja irgendwann krank werden. Was für
ein Kampf gegen das eigene Wesen, das vom Urzustand her reine Harmonie ist.
So wird’s dann auch nichts mit dem richtigen Sehen, denn
welch ein überzogener Anspruch: den Anderen mit dem Herzen sehen, spüren zu wollen, ohne sich selbst je gesehen,
erspürt zu haben in all den menschlichen Schwächen und Ungereimtheiten. In uns,
da muss es erst einmal leer werden, damit die gewünschte Fülle überhaupt
einziehen kann. All die ausgedienten Gewänder der alten Glaubenssätze,
Überzeugungen, falschen Wahrheiten dürfen sich verabschieden, bis wir nackt
dastehen, um uns dann in völlig neue Lebenswahrheiten einzuhüllen.
Christian Morgenstern schrieb:
„Eigentlich ist alles schön, was wir mit Liebe betrachten!“
Es mag sein, dass solch eine Aussage zunächst auf
Widerspruch stößt und doch sag ich heute: Jeder von uns trägt diese Fähigkeit
seit der Kindheit in sich, denn als Kinder empfanden wir von allein ALLES
schön! Wir gingen auf du und du mit allem, was uns begegnete- wir liebten
unsere kleine Welt, sprühten voller Lebensfreude, Verurteilung war uns völlig
fremd! Getrennt wurden wir „nur“ dadurch, dass man uns von unserer inneren
Erlebnisfähigkeit abschnitt- doch sie ging nicht verloren! Sie wartet immer
noch auf uns- tief drinnen, und wir werden sie entdecken, wenn wir uns selbst
wieder begegnen, wenn wir es zulassen, uns selbst wieder lieb zu haben.
Immer und immer wieder wird die Liebe Antwort auf alles
sein! Liebe zu uns selbst, zu diesem Gesamtpaket an Stärken, aber auch
Schwächen- Liebe unseren Gefühlen gegenüber, ob nun in hell oder dunkel- Liebe
hinsichtlich unserer erlebten Geschichte. Ich weiß, gelebtes Leben kann in die
Verbitterung führen- man fühlt sich schlecht behandelt vom Leben angesichts des
erfahrenen Schmerzes. Doch auch hier sehe ich alles „in Liebe“- denn nur mein
Schmerz ließ mich sehend werden! Niemals wäre ich sonst in der Lage, mich in
andere Menschen hinein zu fühlen, sie irgendwie zu verstehen, statt zu verurteilen.
Ja, auch wir dürfen uns zu jeder Zeit eine liebevolle
Haltung entgegenbringen und uns sagen: Wir haben in jedem Moment unseres Lebens
immer richtig gehandelt, so, wie es uns gemäß unseres derzeitigen Bewusstseins
möglich war. Wenn ich heute da stehe, wo ich stehe und erkenne, was ich alles
„falsch“ machte in meinem Leben- dann verurteile ich mich nicht für diesen oder
jenen Fehler. Im Gegenteil- ich bin dankbar
für jede neue Einsicht, die ich gewinnen durfte. Genau darum gehts doch im
Leben- dass wir uns kontinuierlich weiter entwickeln- es geht doch nicht um die
Summe unserer Fehler oder um ständige Schuldzuweisungen.
Ich weiß, es wird niemals den perfekten inneren Zustand
geben- oft scheint in uns das größte Chaos zu herrschen- da kommen Fragen,
Zweifel auf und dennoch ist genau dieser Zustand vollkommen! Stellen wir uns
mal vor, wir wären der Ansicht, irgendwie fertig zu sein- es wäre doch ein
total langweiliges Dasein! Wer hat sich schon vollkommen selbst entschlüsselt,
sein facettenreiches oft widersprüchliches Wesen grundlegend durchforstet?
Für mich wurde halt
eines wichtig: dass ich heute weiß, wofür ich stehe und gehe, bezüglich
meines Wertesystems und meiner Wegrichtung. Was die Welt mir da draußen
erzählt, das lasse ich außen vor, sofern es nicht mit meinem gewachsenen
Verständnis übereinstimmt. Wem müssen wir Rechenschaft abgeben? Nur uns selbst
gegenüber, auch wenn es uns anders gelehrt wurde. Wollten wir es allen Menschen
Recht machen- wir kämen aus dem „Tun“ und „Machen“ gar nicht mehr heraus.
Nur aus der Haltung der liebevollen Selbstbestimmung
erwächst die Haltung der liebevollen Zuwendung zum Anderen hin, lässt uns
Brücken bauen. Nehme ich mich bedingungslos an, wird es mir auch im Außen
gelingen, weil mir irgendwann bewusst wurde, dass es nichts Schöneres geben
kann als das wahre klare So- sein. Es ist nicht die Verstandeshülle, die
Menschen anzieht- es wird immer die Resonanz der Innenwelt sein- wenn Seele und
Seele auf Empfang gehen und einer sich im anderen erspürt.
Und außerdem- ich gehe einfach davon aus, dass in jedem
Menschen der Wunsch beheimatet ist nach einem friedlichen bereichernden
Miteinander- dass unsere Daseinsfreude über allem anderen steht! Eigentlich
suchen wir den Frieden und nicht den Krieg. Niemand möchte einen anderen
wirklich verletzen und wenn es dann doch geschieht, sind zumeist nur die
überholten frühkindlichen Glaubenssätze daran beteiligt, welche uns so weit von
uns selbst entfernten.
Wir sind absolut vollkommen und das in der gefühlten unperfektesten
Ausgabe unserer selbst. Jeder Mensch, der gemäß seiner Fähigkeiten und
Möglichkeiten agiert, ist vollkommen in sich! So und nicht anders sind wir von
Gott gewollt, warum sollten wir uns dann selbst geringer sehen? Es gilt auch nicht, sich irgendwelchen äußeren
Strukturen anzupassen- es gilt nur der Ausdruck des puren authentischen Seins!
Mehr Ausdruck wird von uns in diesem Leben nicht verlangt.
Es liest sich jetzt etwas nach Abgrenzung- doch es ist nur
Ausdruck unserer menschlichen gottgegebenen Einzigartigkeit, Ausdruck unseres
Urbedürfnisses. Wir dürfen nicht vergessen: Wir kommen zwar alle aus dem selben
Wald und doch ist jeder aus seinem ganz eigenen Holz geschnitzt. Ich weiß auch,
dass es gerade diese Einmaligkeit ist, die ein fruchtbares Miteinander
ermöglicht, denn gesellt sich Einzigartigkeit zu Einzigartigkeit und dann ist es einzigartig hoch zwei!
Der folgende Satz hat es mir besonders angetan:
„Lieben wir eigentlich, was schön ist
oder wird etwas schön, weil wir es lieben?“
Der Begriff von wahrer Schönheit- ist so eine Sache für
sich, denn wieder muss ich unterscheiden, aus welcher Quelle die Sichtweise
sprudelt: Verstand oder Herz? Ein Verstand setzt auf äußere herkömmliche
Kriterien und ein gewisses
Schubladendenken. Kennen wir alle: die spontane Reaktion auf Menschen und der
Hang, diese ruck zuck in entsprechende Schubladen zu stecken und für immer
darin zu lassen. Wie rasch picken sich Menschen das Fehlerhafte bei Anderen
heraus- wie viel schöner wäre es doch, sich auf das Gute und Einzigartige zu
besinnen, das jeder in sich trägt! Loben, bestätigen, einander stärken, versuchen zu verstehen, sich in den
Anderen hineinzufühlen- all diese Gesten sind doch viel fruchtbarer, als
ständig nach dem Unperfekten zu suchen. Fehler, die machen wir alle- wir alle
sind herrlich unperfekt – doch möchte nicht jeder so angenommen werden, wie er
nun mal ist? Wer kann schon aus seiner Haut heraus? Wer wird jemals gegen seine
Einzigartigkeit ankämpfen können? Leben und leben lassen- ich denke, das ist
eine sehr fruchtbare Haltung des Herzens.
Einem Herzen ist es eigentlich
nur wichtig, sich nach dem zu richten, was es FÜHLT, und es reicht, zu spüren, wie
gut es sich anfühlt, mit dem oder dem Menschen zusammen zu sein.
Nicht unbegründet erwuchs in mir der Wunsch, Menschen würden
sich nur als „ nackte“ Seelen begegnen, denn ich vermag mir vorzustellen, wie
groß dann die gegenseitige Bereicherung wäre- ohne dieses Verstandesdenken,
ohne diese spontane Vorverurteilung, ohne die Schubladen mit vorgefertigter
Etikettierung! Dann nämlich wird alles
schön- wir lieben es einfach, weil es
sich gut anFÜHLT!
Schau ich mir den Wandel der Zeit an, dann gehe ich davon
aus, dass sie nach diesem neuen Erspüren ruft- weg vom Verstand, seinen
sachlichen Ordnungsprinzipien und hinein ins Erspüren. Unsere sensible Seite
ist wieder gefragt, denn sie wird uns helfen, das Unwesentliche vom
Wesentlichen zu unterscheiden.
Und hier bin ich wieder bei der Wahrheit von Osho angelangt,
die da lautet:
„Alles, was sich für dich schön anFÜHLT- das ist deine
Wahrheit- eine andere Wahrheit gibt es nicht.“
Mit diesem Gefühl im Gepäck können wir nämlich durch alle
unsere Lebensbereiche spazieren, um zu erspüren, wie es sich anfühlt. Ob im
beruflichen Bereich, in der Partnerschaft, in der Freundschaft, hinsichtlich
jeder einzelnen Entscheidung, denn unser Gefühl betrügt uns niemals und ist
somit der ultimative Glücksgarant für ein wirklich erfülltes Leben. Ohne Frage
ist dies ein Prozess der besonderen Art und wollte ich mich eines Bildes
bedienen, dann würde ich sagen: Wir sind aufgefordert, unsere innewohnenden
Antennen wieder zu mobilisieren, das Erspüren wieder zu lernen!
Es ist nicht wichtig, wo ich mich aufhalte- wenn es sich gut
anfühlt, dann ist das mein Ort und umgekehrt ebenso zutreffend. Man entwickelt
mit der Zeit ein unheimliches Feingespür für das eigene Wohlgefühl und dann
ernennt man irgendwann nur noch dieses Gefühl zum Richtungsweiser. Aus dem
Grund meide ich auch grundsätzlich jene Gruppen, in denen Verurteilung,
Diskriminierung anderer Usus ist, weil es mir einfach nicht gut tut. Nein, ich
verurteile jene Menschen nicht, weil ich versuche, ihre Haltung zu verstehen-
doch dort ist nicht mein Wohlfühlort.
Hätte !! ich diese Haltung früher konsequent gelebt- ich
hätte mir viel Schmerz ersparen können und wäre immer auf dem für mich
optimalen Weg gewesen. Aber wahrscheinlich waren es gerade die Irrwege und
Umwege, die Sackgassen, die mich letztendlich in diese Erkenntnis führen
sollten. Denn nichts, was geschieht, ist jemals ohne einen tiefen Sinn.
Darum lieb ich das Leben so! Es spricht zwar nicht von
glatten asphaltierten Wegen- lässt mich zigmal hinfallen- fügt mir tiefe Wunden
zu, doch im Endeffekt agiert es aus reiner Liebe zu mir, weil es weiß, dass nur
die hautnahe Erfahrung neue Einsichten erwachsen lässt. Kein noch so gutes
Fachbuch vermag mir das aufzuzeigen, was mich jede schmerzvolle Erfahrung
lehrt.
Und wozu soll das alles gut sein?
Hier bediene ich mich der erleichternden Aussage von Franz
Schmatz:
Dieses Leben lässt mich „anders werden“- nämlich mehr
fühlender Mensch!
*Linda*
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen