Dienstag, 7. Februar 2017

Leben wir uns oder werden wir gelebt?





Leben wir uns oder werden wir gelebt?

Diese Frage stelle ich mir insbesondere dann, wenn es sich mal wieder nicht vermeiden lässt, dass Fernsehsendungen nun mal von Werbeeinspielungen unterbrochen werden. Manchmal drück ich spontan den Ton weg, weil ich es mir nicht mehr anhören mag. Ich könnte dem Ganzen nämlich zu einem hohen Prozentsatz eine allgemein gültige Überschrift geben, die da lautet:

„Wir sagen dir schon, was gut für dich ist!“ Dann stell ich mir vor, wie da eine Menschengruppe aus der Werbebranche zusammensitzt, den neuesten Werbespot erarbeitet mit dem Gedanken: Wie erreicht unsere Ware auf dem effektivsten Weg den Konsumenten? Welche Zielgruppe sprechen wir an? Was sind die Bedürfnisse dieser Menschen? Mittlerweile hat man nämlich erkannt, dass sich da ein „neuer“ Mensch entwickelt- einer, der von dem Bedürfnis nach Freiheit, Unabhängigkeit, Leichtigkeit spricht- der seine Regeln selbst erstellen will- weil er es sich schließlich wert ist!

Tja und dann kommt Werbung daher und bläst exakt in dieses Horn! Willst du frei sein- dann schaffst du das mit dem neuesten YX-Auto! Weil du es dir wert bist, kaufst du das Produkt von XYZ. Du hast deine Träume und Sehnsüchte? Dann erfüll sie dir mit einer Kreuzfahrt des Unternehmens ABC! Ja und da sich jeder Mensch  nach der großen Liebe sehnt- nichts ist leichter, als das! Alle 11 Minuten verliebt sich schließlich  ein Pärchen in diesem einen Forum! Da frag ich mich nur: Liebe im Schnellverfahren- auf Mausklick….??????


Leben scheint angesichts dessen doch extrem leicht zu sein, nicht wahr? Die da draußen, die sind so nett und geben uns die Anleitung für ein rundum erfülltes Leben mit dem Gefühl des Selbstwertes, der Freiheit, der Autonomie! Ich weiß- alle wollen irgendwie überleben . Ist halt ihr Job.

Nur- ich steh da nicht hinter und kann für meine Person rein gar keine Parallele ziehen zwischen den Werbeaussagen und dem, was sich für mein Leben als stimmig gezeigt hat.

Und weil ich es anders handhabe, lass ich Werbung mal Werbung sein und ziehe eine andere Haltung vor:

„Tür nach Außen schließen,
um ganz bei sich zu sein-
sich mit der Stille verbinden,
um seinem wahren Wesen
und seinen Seelenwünschen zu begegnen.“

Von unbekannt

Jetzt könnte man sagen: Wie langweilig und effektiv soll das denn sein?

Meine Antwort darauf lautet:

Na ja, das ist halt meine gewachsene Lebenshaltung, weil ich irgendwann verstand, dass rein gar kein Glücksversprecher im Außen jemals ein Garant für MEIN erfülltes Leben darstellt. Nichts ist so individuell wie der Mensch mit seinen ebenso individuellen Bedürfnissen, seiner Art, sich selbst wahrzunehmen, zu erfühlen und zu spüren, was ihm gut tut, was seine Seele nährt und mit Freude erfüllt. Ich möchte nicht von Außen gelebt werden- ich möchte mich in dem, was ich tu, ersehne, zu jeder Zeit wiederfinden und vor allen Dingen meine individuellen Bedürfnisse selbst erspüren! Schon oft hab ich auf das ganz besondere Geschenk des Lebens hingewiesen: das absolute Alleinsein- die totale Konfrontation mit sich selbst, ohne jede Ablenkung! Mir wurde dieses Geschenk vor 6 Jahren zuteil und ich weiß heute: Hätte es das nicht gegeben- ich hätte den Weg nicht gehen können! 24 Stunden nur mit mir allein ohne Fluchtmöglichkeit, das ist auf der einen Seite hart- aber äußerst fruchtbar. Endlich hab ich mich mal in die Mitte meines Lebens gestellt- hab mich so was von ernst genommen! Auf einmal war es mir egal, was denn die Anderen so dachten, meinten und für gut wie richtig hielten. Es ging nur um mich- endlich hatte ich diesen Schritt geschafft!

Ich begab mich nämlich in einen Prozess, den ich heute sehr klar benennen kann:
Ich musste lernen, endlich wieder allein zu laufen und aus all den alten Ideen von Leben, Partnerschaft, Beruf, Liebe und mir selbst herauszuwachsen! Ich musste lernen, mich und mein Dasein endlich wieder ernst zu nehmen, denn diese Ernsthaftigkeit hatte ich mir in meinen vorherigen Lebensphasen glattweg untersagt. Da wurde ich nämlich gelebt und hatte nicht die Spur von Ahnung, was es heißt, mich selbst zu leben und lieb zu haben.

Klar, als ich vor vielen Jahren in dem Musical Elisabeth die Elisabeth vehement singen hörte: “Ich gehör nur mir!“- da kam ich schon ins Stocken. „Wie ist die denn drauf?“ war so mein erster Eindruck. „Wie kann sie denn so selbstsüchtig sein?“ Doch genau das Lied bzw. diese Aussage ließen mich nicht mehr los und ich weiß heute, dass es meiner bis dahin gefangenen Seele extrem gut gefiel. Allerdings war ich in meinem Bewusstsein noch nicht so weit und musste wohl erst in dem Buch: “Gespräche mit Gott“ erlesen, dass sogar in einer Partnerschaft jeder immer das tun darf und sollte, was ihm zu seinem höchsten Wohle dient. Jeder sorge sich zunächst nur um sich selbst – dann wird es auch was mit einer harmonischen Beziehung- denn was zum Wohle des einen dient, wird spontan zum Wohle des Anderen sein.

Gut, so hat man es mir  nicht erzählt- so lebte man es mir nicht vor und ließ mich in dem Glauben, dass Harmonie und für den Partner da sein  in einer Ehe ganz oben standen! Doch, ehrlich gefragt: Wenn der Mensch sich selbst nicht bedingungslos liebt, wie soll er dann wahre Liebe verschenken können? Was nicht IN MIR ist- kann ich auch nicht weitergeben.

Ich dachte an die Situation meiner sehr frühen Eheschließung und führte mir das Eheversprechen vor Augen. Es war ein gegenseitiges Versprechen der Treue, Achtung und Liebe durch alle Zeiten hindurch, um dann alles mit einem „Ja“ abzurunden. Ohne Frage, all diese Haltungen stellen eine fruchtbare unerlässliche Basis dar und doch war eine ganz wichtige Voraussetzung nicht gegeben.  Was wäre gewesen, wenn der Priester an mich die Frage gestellt hätte: “Bist du bereit, deinen Mann zu lieben, zu achten, zu ehren, so wie du dich selbst liebst, achtest und ehrst in deinen guten wie schlechten Zeiten?“

Dann nämlich hätte  sich eine sehr breit gemacht: die radikale Wahrheit! Ich für meine Person hätte damals nämlich gestehen müssen: ich liebe mich nicht, ich achte mich nicht- ehren tu ich mich schon mal gar nicht- ist das denn so wichtig?

Wir alle wünschen uns sogenannte Sonnenscheinbeziehungen – in friedlich, ohne große Reibereien und Konflikte. Darum ist ja von vielen sterbenden älteren Menschen das Bedauern zu hören: Eigentlich hab ich über zig Ehejahre mein!!! Leben gar nicht gelebt- weil es mir vorrangig auf die Harmonie ankam. Das, was ich eigentlich wünschte und fühlte, das hab ich für mich behalten- um des lieben Friedens willen. Schade, jetzt bereu ich es! Und nun ist es zu spät.

Diese Menschen haben es auch nicht anders wissen können, weil es ihnen so vermittelt wurde! Eltern, Großeltern, Urgroßeltern- fast alle waren in der Haltung unterwegs. Es wurde nicht an sie herangetragen,  sich selbst ernst zu nehmen- zu fühlen, was gefühlt werden wollte, zu sagen, was man wirklich ersehnte und dachte!


Ich hab es oft angeschnitten- dieses neue Bewusstsein, das sich in dieser Zeit breitmacht. Es hilft uns, bisherige Lebensbereiche aus einer völlig anderen Perspektive zu sehen. Ja, wir wünschen uns perfekte Sonnenscheinpartnerschaften- doch wieder kommt die Polarität zum Zuge, weil der Sonnenschein zuvor auch des Regens und manchmal sogar des Hagels und des Gewitters bedarf. Dieses Gesetz hab ich in meinen zwei Beziehungen nicht beachtet. Stattdessen war immer nur das Bedürfnis nach Sonnenschein da und sobald sich der Wetterumschwung ankündigte- habe ich mich dem entzogen. Doch genau da hätte ich stehen bleiben müssen- so mitten im stärksten Regenschauer- denn da rief die wertvolle Chance der Heilung meiner kindlichen Wunden! Es heißt recht passend: Wer sich für die Liebe öffnet, der öffnet sich auch für den Schmerz- doch wir dürfen nie vergessen: jeder Schmerz ist gleich einer Tür, die uns immer mehr uns selbst werden lässt.

Jede Beziehung, so seh ich es heute- ist ein Heilraum für alles Unerlöste und wenn dann noch die tragende, verstehende, alles verzeihende Liebeskraft hinzukommt, dann kann da so viel an Heilung geschehen!

Es bedarf nur der bewussten Basisfrage: Warum sollten gerade wir beide uns finden? Ich schreibe bewusst von dem „sich finden“- denn Menschen kommen nicht mal so zufällig zusammen, sondern gehen aufgrund ihrer inneren Antennen in gegenseitige Resonanz. Und das nicht unbegründet- denn jeder wird für den anderen für seinen individuellen Heilungsprozess, bzw. seine Ganzwerdung von besonderer Bedeutung sein!

Es bringt mir  nichts, zu sagen: „Ach, hätte ich dies alles schon in meinen früheren Beziehungen gewusst!“….so weit reichte das Bewusstsein einfach nicht. Damals lagen die Gewichte ganz woanders! Ich träumte in meinen jungen Jahren von dem harmonischen Familienleben, wollte eine gute Mutter sein und eine ebenso fürsorgliche Partnerin. Vom Kopf her (auch im gesellschaftlichen Sinne) schien alles klar und durchstrukturiert und doch……ich hatte meine zerbrochene unerlöste Kinderseele vergessen, all die Wunden, die ich in mir trug. Ehrlich gesagt hatte ich bis dahin gar nicht gelernt mit einem starken Rückgrat selbst zu laufen, da fehlte so viel Basis, so viel „ich- bin- mir- meiner- selbst- bewusst“…auch meiner Schatten und unerlösten Seele.

Darum bin heute zum Verfechter des Gedankens geworden, dass vor der Gründung einer Familie erst einmal das Bestreben stehen sollte,“ allein laufen zu lernen“, verbunden mit der bedingungslosen Liebe zu sich selbst- ein Prozess, in dem der Mensch sich selbst findet, erkennt und alles Unerlöste erlöst. Ist man erst einmal in den Anforderungen von Ehe und Kindererziehung eingebunden, dann ist da kein Raum mehr, sich auf sich selbst zu besinnen.


Es mag sein- meine Ansichten sind etwas fragwürdig- doch sie sind in mir gewachsen durch all meine Erfahrungen. Darum bin ich der Frage sehr zugetan: Wie tief kann die Bedeutung des wahren Lebens eigentlich sein? Wie tief ist die wahre Bedeutung von Partnerschaft und Liebe?
Es heißt nicht ohne Grund: Leben geht immer aus unseren Absichten hervor- es wird sich gemäß unserer Vorstellungen entwickeln. Und dieses Gesetz gibt uns im Grunde alle Macht der Welt- denn so wird jeder zum Erschaffer seines eigenen Lebens!

In dem Buch “Gespräche mit Gott“ heißt es:

„Lass niemals zu, dass dein Leben etwas anderes darstellt,
als die großartigste Version deiner höchsten Vision von
wer- du- wirklich- bist!“

Ehrlich gesagt- wäre ich heute noch einmal in der Situation, meinen Kindern einen Richtungsweiser fürs Leben mitzugeben- es wäre genau das! Eine Vision von sich selbst und seinem Leben zu haben, das ist die fruchtbarste Basis, die ich mir vorstellen kann, ungeachtet dessen, was die Außenwelt sich so vorstellt.

An dieser Stelle vermag ich ohne Zweifel die Figur der „Elisabeth“ wieder anzuführen, die mit überzeugender Stimme ihrem Mann entgegnete: „Auch wenn ich dich über alles liebe, so gehöre ich doch immer nur mir!“ Es ist der gesunde Egoismus einer Frau, die sich ihrer Individualität durchaus bewusst war und im Grunde ein Vorreiter für das Bild der neuen fruchtbaren Partnerschaft, welche aus zwei Individuen besteht, die sich in ihrer eigenen Schönheit wunderbar ergänzen. Einer füllt den Becher des Anderen mit dem Wertvollsten,
was er in sich trägt und so wird Partnerschaft zur gegenseitigen Bereicherung. Zwei Leben tun sich zusammen, um ein noch schöneres zu erschaffen und doch bleibt jeder für sich eine eigenständige Person.

Das ist für mich  der tiefe Wert von Partnerschaft- sich nicht darin zu verlieren, sondern sich immer wieder neu zu entdecken, um die innewohnende Vision von „wer- ich- wirklich- bin“ noch stärker zum Erblühen zu bringen.

Nun gut, ich musste, um in diese Erkenntnis zu wachsen, das Gegensätzliche durchleben- doch auch das war wichtig und unerlässlich. Fehler, Irrtümer- sie müssen sogar sein, denn ohne sie würden wir nicht dazulernen und erspüren können, was für unser Leben wirklich wichtig und richtig ist. Darum quälen mich auch keine Schuldgefühle, denn ich habe es zu jeder Zeit gemäß meines Bewusstseins, meiner Lebensanschauung so gehandhabt, wie es mir richtig erschien. Zudem hab ich mich irgendwann davon freigesprochen ehemalige Partner auch nur im Geringsten zu verurteilen, denn im Grunde war ich es, die eine vom Leben angebotene Heilungschance nicht erkannte. Niemand fügt uns  neuen Schmerz zu- immer sprechen ungeheilte Wunden der Kindheit zu uns.


Doch eines nahm ich mir vor Jahren vor: Ich möchte nicht mehr von meiner Vergangenheit gelebt werden! Sie versteht es nämlich prima, in trügerischer Form negativen Einfluss auf alles gegenwärtige Erleben zu nehmen- sich in alle Lebensbereiche hineinzuschleichen- sei es in Form von Angst, Selbstverurteilung, Perfektion, Gefühl von Kleinsein, nicht gut genug sein- halt alles das, was wir so als Kinder in uns erzeugten. Darum begab ich mich mit absoluter Ehrlichkeit in diese frühe Zeit zurück, um die noch unerlösten Stellen zu entdecken und bewusst aus ihren Zwängen zu befreien. Sonst schleppen wir wirklich alles bis zum St. Nimmerleinstag mit uns herum, ohne zu erahnen, dass es doch „nur“ Kindheitsschmerz ist. Das hat doch mit uns im Jetzt gar nichts zu tun. Wir sind vollkommen- so, wie wir sind.

Wir müssen aus all den „sauren alten Zitronen“ einfach nur eine gutschmeckende Zitronenlimonade machen, indem wir uns sagen: Alles, Was und Wie es geschah, war zu jedem Zeitpunkt absolut perfekt, weil es Voraussetzung darstellte, damit sich das Bessere überhaupt einstellen konnte! Wir dürfen nicht vergessen: wir sind ständig unterwegs, um immer wieder neu zu suchen , zu finden, zu suchen, zu finden……und stets wird es nur zu unserem höchsten Wohle sein! Das Leben schenkt uns die Möglichkeit, endlich ganz wir selbst zu werden!  Es kann nicht schlechter werden, sondern nur besser, von Schritt zu Schritt, auch wenn wir zehnmal über unsere eigenen Füße stolpern- alles normal.

„Der Mensch ist grundsätzlich der ins Wagnis gesandte.
Das Scheitern schadet ihm weniger als das Abgesichertsein,
denn Gott wünscht sich Vollender des Menschseins.“

Herbert Fritsche

Dass es ein weiter Weg ist, das liegt halt nur daran, dass man uns einst weit wegführte von diesem menschlichen Sein- es sogar noch belächelte und für nicht gesellschaftstauglich hielt.
Doch der Mensch ist und bleibt Mensch und ich erahne: dieses natürliche Sein wird sich in diesem Wandel der Zeit mehr und mehr seinen Platz zurückerobern. Der „neue“ Mensch wird sich seiner Individualität bewusst und allmählich aus der gesellschaftlichen Polonaise ausscheren, um seinen ganz eigenen Tanz des Lebens zu tanzen.
Er wird nicht mehr gelebt- nein- er lebt sich in vollem Bewusstsein, in Liebe und Zufriedenheit  „nur“ noch selbst!

*Linda*

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