Das Glück der Begegnung mit uns selbst….
Es ist schon komisch- immer, wenn ich die Gedanken des Herrn
Goethe lese, dann könnte er auch gut und gerne in der heutigen Zeit leben- denn
seine Sicht von Leben scheint konform zu gehen mit dem, was ich so empfinde,
wenn ich mir unsere Welt anschaue.
Von daher vermag ich seine Haltung durchaus
nachzuvollziehen, wenn er für sich beschlossen hat:
„Das Beste ist eine tiefe Stille,
in der ich gegen die Welt lebe-
wachse
und das gewinne-
was sie mir mit Feuer und Schwert nicht nehmen können.“
Sein Gewinn entspricht nämlich exakt der Bereicherung, die
ich so anstrebe: dieses gewisse „Etwas“, das mir niemand mehr zu nehmen vermag
und das ich bis zum letzten Tage als meinen ganz persönlichen Lebensschatz bewahre
und behüte.
Wie soll ich diesen Schatz beschreiben? Ich nenne ihn das
zufriedene Gefühl, in mir selbst zu Hause zu sein- Tag und Nacht – in allen nur
erdenklichen Lebenssituationen immer „nur“ aus diesem Heimatgefühl heraus zu
agieren, ungeachtet dessen, was sich die große weite Welt so vorstellt und von
mir erwartet.
„Unser Glück liegt nämlich allein in der liebevollen
Beziehung zu uns selbst.“
Sehr oft spreche ich von dieser so unentbehrlichen Basis der
gesunden Liebesbeziehung zu uns selbst, weil es nur durch sie möglich wird,
fruchtbare Beziehungen im Außen zu
leben. Es gilt, diese Quelle im Inneren wieder zu erschließen, weil all unsere
Lebensenergie nur dort zu finden ist.
„Von allen Energien
der Welt kann nur eine einzige dich glücklich machen:
die Energie des
Herzens.
Menschliches Glück
ist kein Produkt von Wissenschaft und Technik.
Menschliches Glück
hängt ab vom Lieben und Geliebtwerden
und von so vielen
schönen Dingen, die gratis sind.“
Phil Bosmans
Erzählt hat es uns niemand und auch heute wird dieser
Wahrheit viel zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt, weil es scheinbar wichtiger
ist, sich auf den äußeren Fortschritt zu konzentrieren, statt auf die
Entdeckung unserer inneren Welt. Dabei kann es gar keine schönere
Entdeckungsreise geben, als in diese Landschaft einzutauchen und zu spüren, wie
sie uns mit jedem Schritt immer vertrauter wird. Wir waren nämlich in der ganz
frühen Zeit hier sehr sehr heimisch, wissen intuitiv um die Schönheiten unserer
eigenen kleinen Welt! Das Einzige, was fehlt, ist, uns wieder daran zu
erinnern.
Ich für meine Person gehe heute sehr bewusst damit um, sage
mir sogar: Ich möchte für immer berührbar bleiben, weil diese Seelenberührungen
etwas Einzigartiges sind- und mit keinem Geld der Welt zu bezahlen.
Ja, ich erhielt von Gott das Geschenk der extremen
Empfindsamkeit, spreche oft von den unzähligen Antennen, mit denen ich durch
die Welt spaziere, mit denen ich aufnehme, was an Anderen scheinbar vorbeizieht..
Es gab Zeiten, da hab ich unter meiner Sensibilität wahnsinnig gelitten- sie
schien irgendwie nicht gesellschaftsfähig
zu sein: viel zu nah am Wasser gebaut- viel zu emotional auf alles
reagiert und noch schwerer verdaut!
Warum auch immer- aber da war in mir zu keiner Zeit das
Bedürfnis, mich „in anders“ zu geben, davon abgesehen, dass ich es eh nicht
lange durchgehalten hätte. Dieses scheinbar Andersartige wollte gelebt werden,
egal, in welcher Situation ich mich befand. Und hier erinnere ich mich allzu
gern an den Tag, als ich inmitten einer Gruppe erwachsener ernst
dreinschauender Menschen saß- die alle sehr gefestigt schienen- nur ich wars
nicht und plötzlich kamen sie: die Tränen, die ich nicht zurückhalten konnte,
die aber situationsbedingt absolut nicht passten. Ich konnte nicht abschätzen, wie
der Rest der Gruppe auf diesen unerwarteten Gefühlsausbruch reagieren würde…..
lachend, ablehnend, verständnislos? Nein, da war nämlich plötzlich eine Ruhe im
Raum, ich kanns nicht beschreiben- keiner machte irgendeine Bemerkung-
stattdessen wurden mir stillschweigend Taschentücher und eine tröstende
Umarmung gereicht. Da wusste ich: hier durfte ich die sein, die ich bin und ich
wurde verstanden- trotz oder gerade wegen meiner Tränen?????
Ja, es ist irgendwie eine Art von Markenzeichen meinerseits,
dass ich den Tränen gegenüber sehr aufgeschlossen bin- weil ich mir sage: Was
raus will, das hat seinen Ursprung in einer Befindlichkeit, die aus dem
tiefsten Innersten kommt. Und halte ich das zurück, dann schaffe ich eine
Blockade- dann lebe ich an dem vorbei, was in dem Moment leben will!
Gut, ich habe meine Eltern bzw. mein restliches Umfeld nie
weinend erlebt- durfte mich aber auch in der glücklichen Lage wissen, nie zu
den Indianern gehören zu müssen, die
nicht weinten! Was mich allerdings später sehr verärgerte, waren halt die
Ansprüche von Eltern, die ihren Kindern die Kostbarkeit der Tränenflusses untersagten-
weil halt dieser Indianer nicht weint. Was für eine irreführende Erziehung zum
harten selbstbeherrschten , sich ständig kontrollierenden Menschen! Tränen
gehören zu uns wie das Lachen! Tränen sind doch etwas Wunderschönes- sie sind
Seelensprache, Zeichen für Sensibilität, Ausdruck der Berührbarkeit, für
den weichen Kern in uns und der ist
absolut geschlechtsneutral!
Während der Betreuungszeit dieser kleinen Wesen wäre es mir nicht
möglich gewesen, den Unterschied zwischen Jungen und Mädchen an der
Unterschiedlichkeit ihrer Gefühlsäußerungen festzumachen. „Alles“ war bei
beiden Geschlechtern vollkommen identisch! Und doch schafft es dann der
erzieherische Einfluss, dass dieses Gefühl der
Vollkommenheit Einschnitte erfährt, verbunden mit der gewachsenen Ansicht,
dann selbstverständlich „nur halb“ vertreten zu sein.
Doch ein Bericht der Neuzeit lehrte mich wiederum diese eine
Wahrheit- welche besagt, dass in jedem von uns sowohl das Männliche als auch
das Weibliche vorhanden ist. Wir sind
vollkommen- es bedarf nur der Wiedererinnerung!
Angesichts dieser belegten Tatsache wird es einem Menschen
wie mir grundsätzlich etwas übel, wenn ich mir vor Augen führe, wie sehr sie
uns hinters Licht führten und dies immer noch an der Tagesordnung ist! Das, was
uns eigentlich erst schön sein lässt, genau das, stampf(t)en sie in den Boden,
um uns Idealbilder von Mann und Frau zu vermitteln, die mit unserer tiefen Wirklichkeit
nichts zu tun haben. Da soll mir noch einer etwas von der Würde des Menschen
erzählen, die über allem stehen muss! Dieses Gesetz ruft dazu auf, dass jeder seine Einzigartigkeit
ausleben darf und dazu zählt auch die Freiheit, all seinen Gefühlen Ausdruck zu
verleihen! Stattdessen werden sensible Männer als Weicheier, Looser,
Schwächling usw. bezeichnet und haben einen verdammt schweren Stand in dieser
Gesellschaftsformation, die auf Härte und Stärke, Disziplin, Selbstdarstellung
aufbaut. Man muss sich das wirklich mal vor Augen führen: das, was nicht menschlicher
und schöner sein kann, wie Verletzbarkeit, Sensibilität, Berührbarkeit, Sanftheit
– all das Weiche in uns- es erfährt absolute Abwertung! Und da soll der Mensch
nicht krank werden? Er ist dazu aufgerufen, an seinem wahren Wesen
vorbeizuleben- was für ein Kampf gegen sich selbst!
Allerdings hab ich schon immer davon abgesehen, mich dieser
Kampfart auszusetzen, wäre mir aufgrund meiner hohen Sensibilität auch nicht
möglich gewesen. Und es war gut so, das weiß ich heute noch mehr zu befürworten.
Ich kann nicht jemand anders sein, als ich bin und werde es niemals sein
können! So und nicht anders bin ich von Gott gedacht!
Von diesem Gedanken ließ ich mich leiten, als ich vor sechs
Jahren wieder einmal in einem Trauerprozess steckte. Wieder hatte ich einen
Menschen durch den Tod verloren. Doch es gab den einen Unterschied: In all den
Abschiedssituationen zuvor hatte ich mir meine Tränen untersagt, mich zur
„Stärke“ , zur Haltung aufgerufen- mit dem Ergebnis, dass ich keinen der
menschlichen Verluste eigentlich jemals „richtig“ verarbeitete. Diesmal war
alles anders! Diesmal gewährte ich meinen Tränen ihren freien Lauf, egal, zu
welcher Zeit, egal von welcher Dauer und Intensität.
Später wurde mir klar, wie befreiend diese Haltung für meine
Seele war! Diese Tränen mussten raus, um meiner Seele ihren tiefen Schmerz
zuzugestehen.Dankbar bin ich auch, in dieser Zeit das Lied von Annett
Müller gefunden zu haben- einer Frau, die so wie ich im Prozess der Trauer gefangen
war.
Die Botschaft ihres Liedes war an ihr Umfeld gerichtet mit
den Worten:
„Lasst mich weinen, wenn ich weinen will.
Lasst mich verstummen, wenn ich nicht reden will.
Lasst mich allein, wenn ich die Einsamkeit brauch.
Probiert mich zu verstehen, darum bitte ich euch!“
„Probiert mich zu verstehen“- auch ich sandte diese Bitte
hinaus an mein Umfeld, weil mir bewusst war: Nur ich allein vermag zu erspüren,
was ich brauche, um meine Trauer zu verarbeiten. Es gibt kein allgemein gültiges
Raster, das besagt, auf welche Weise und wie lang der Mensch zu trauern hat. Der
eine sucht die Ablenkung, geht in die Verdrängung – wo der andere einfach nur
allein sein will mit seinem Schmerz und seinen Tränen.
Allerdings gewann ich gerade durch diese sehr individuelle
Entscheidung eine weitreichende Erkenntnis: Eigentlich, so kam es mir in den
Sinn- steht ALLES, was mich und mein tiefes Erleben betrifft, allein in meiner Verantwortung. Aus Selbstachtung mir gegenüber
muss ich es mir zu jeder Zeit wert sein- das zu leben, was in mir ruft, ohne
mich jemals dafür rechtfertigen zu müssen.
Ja, ich glaub schon, dass dies der Beginn der
Liebesbeziehung zu mir selbst war- endlich nahm ich mich wieder ernst! Man wird
extrem sensibel für die eigenen Befindlichkeiten, spürt in sich hinein und
erklärt irgendwann das Erfühlte zur alleinigen Wahrheit. So halte ich es bis
heute- denn die Sprache meiner Seele über das Gefühl steht für mich über allem,
gibt Richtung und lässt mich in mir selbst daheim sein.
Ohne Zweifel konnte es so wachsen und erblühen, weil ich Zeit
meines Lebens ja erfuhr, was es heißt, mit Schmerzen an mir und meinen
eigentlichen Wahrheiten vorbeizuleben! Den Zustand will man dann niemals
wieder! Es geht bei Weitem nicht darum, irgendeine Art von Vollkommenheit,
Perfektion anzustreben, fehlerfrei zu sein- oh nein- einfach nur „man selbst“
sein dürfen- in allen Facetten, mit allen Ecken und Kanten und mit allen
Gefühlen, ob in hell oder dunkel. Das ist für mich mein „glücklich sein“. Das
ist unser aller Geburtsrecht und die Würde jedes Einzelnen ruft danach, genau
so angenommen zu werden!
Das größte Geschenk ist jemand,
der Ohren, Augen und Herz für uns öffnet
und uns annimmt, wie wir sind-
mit allem Unbegreiflichen, Ungereimten, Unfertigen und
Verworrenem in uns.
Jochen Mariss
Auch Phil Bosmans hat es damals so gesehen, als er schrieb:
Menschliches Glück hängt nicht vom Fortschritt ab, sondern vom Lieben und Geliebtwerden
und von so vielen schönen Dingen, die gratis sind.“
Ich denke, eine schönere Lebenswahrheit kann es nicht geben!
*Linda*
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