Aus der Leere erwächst die Fülle
Gemäß meiner Lebenshaltung lehne ich mich dann und wann
zurück, um mein Leben Revue passieren zu lassen. Dabei sehe ich mich immer
wieder in Phasen des „auf mich allein
gestellt sein“ und bezeichne sie im Nachhinein als sehr wertvolle Chancen für
das innere Wachstum.
Dieses Empfinden hatte ich auch, als mein Freund vor Jahren sehr
plötzlich verstarb und sich für mich ein Krater der absoluten Leere auftat.
Ganz verständlich nach vielen Jahren des Zusammenlebens und doch wurde diese
Situation der Leere, des totalen Alleinseins für mich im Nachhinein zum großen
Geschenk des Lebens.
Es gibt einen sehr zuversichtlichen Ausspruch, der da lautet:
„Entdecke gerade in der größten Tragödie die Herrlichkeit
des Prozesses!“
Natürlich hätte ich damals rein gar nichts mit diesen Worten
anfangen können- denn mir gings so schlecht wie niemals zuvor in meinem Leben. Ich
war allein, fühlte mich ausgebrannt, leer und sah mich kaum in der Lage, die
auf mich wartende Zukunft auch nur annähernd zu begrüßen. Schon wieder hatte
ich einen Menschen verloren, fühlte mich vom Leben arg gebeutelt, stellte immer
wieder diese Frage nach dem „Warum gerade ich? Warum kann mein Leben nicht
einfach mal leicht und unbeschwert sein?“
Heute weiß ich die Antwort, denn genau in dieser Phase der
scheinbaren Ausweglosigkeit setzte sich der „herrliche“ Prozess in Gang-
umgesetzt könnte ich auch sagen: Ich
erhielt vom Leben das größte
Geschenk, das man sich vorstellen kann: Ich durfte endlich ich selbst werden!
Die Zeit war gekommen und wahrscheinlich war ich reif genug, den Weg gehen zu
können!
Um es auch nur annähernd verstehen zu können, bedarf es
eines Rückblicks auf mein bis dahin gelebtes Leben, das im Grunde gar nicht das
meine war. Ich lebte Beziehungen, in denen ich mich selbst verlor, in denen
vorrangig dieses verletzte Kind in mir nach Wärme, Anerkennung suchte und das
in Form von Aufopferung, Harmoniebestreben, Selbstverleugnung. Das, was meine
Seele wirklich ersehnte, das schob ich ständig an die Seite, auch wenn ich in
stillen Momenten genau spürte, wie schlecht es ihr und mir damit ging.
Als ich nach dem Tod des Freundes dachte- da kommt nichts
mehr- da gings erst richtig los! Eine wunderbare – ich sag schon „göttliche“ Fügung
öffnete mir wie aus dem Nichts eine Tür
in eine neue Welt, die ich spontan als so vertraut empfand- ja, es war ein Gefühl
von daheim sein! Ich vermag es nicht zu beschreiben, weiß aber heute: In dem
Moment erwachte meine Seele aus ihrem langen Dornröschenschlaf und begann wieder
zu atmen. Vom damaligen Erleben her weiß ich zu sagen: Einmal erspürt und man
kann nicht mehr anders, als von da an nur noch dieses befreiende Atmen der
Seele zum Ziel zu ernennen! Auf einmal fällt es wie Schuppen von den Augen und
man fragt sich: Was habe ich mir
eigentlich in meinem Leben selbst angetan? Was hat mich dazu verleitet, ständig
im Außen die Bestätigung, Wärme, Zuwendung zu suchen- und dafür den hohen Preis
der Selbstverleugnung zu bezahlen? Das, was ich immer suchte, ist doch alles IN
MIR und wartet nur darauf, sich entfalten zu können! Die Heimat, die ich immer
suchte, sie ist doch IN MIR!
Und dann macht man sich auf den Weg….Schritt für Schritt
will gegangen sein, um die so fremd erscheinenden Seelenlandschaften wieder zu entdecken,
begleitet von dem eigenartigen Gefühl:
Das kenne ich, hier war ich doch schon einmal, als ich ganz klein war!
Ja, es ist lediglich ein Prozess der Wiedererinnerung und
darum macht es so viel Freude- doch auch hier sorgte Leben dafür, dass ich auf
der Wanderung die nötigen Voraussetzungen hatte: es schenkte mir- über allem
stehend diese Fügung- alle Zeit der Welt
und zu Hause die Situation des absoluten Alleinseins für die intensive
Begegnung mit mir selbst.
Es ist nicht übertrieben, wenn ich sage: ich musste erst
wieder lernen, eine zärtliche verständnisvolle Liebesbeziehung zu mir selbst
aufzubauen und das in der bewussten Konfrontation mit meinen unerlösten
Schatten, mit den Bedürfnissen meines verletzten Kindes, mit all den überholten
Glaubenssätzen der frühen Zeit. Ja, es ist zeitweise ein schmerzhafter Prozess
und doch ließ mich jeder angenommene und umarmte Schmerz einen Schritt weiter
gehen in die Liebe zu mir selbst.
Ich weiß, dass der Zustand des Alleinseins sehr rasch mit
negativer Einsamkeit gleichgesetzt wird- doch das sehe ich heute anders. Leben
steckt uns nicht ohne Grund in diese Phase, wäre sie nicht von höchster Bedeutung
für unsere Weiterentwicklung oder- wie ich es sehe- für die Vervollständigung
unseres Lebensmosaiks. Na ja und bei mir hat Leben sich halt gesagt: „So, die
Zeit des unbewussten Dahinlebens ist vorbei- nun geht es darum, sich auf das
Wesentliche zu konzentrieren, sich klarzumachen, wer du wirklich bist und sein
möchtest. Durch die Situation des Alleinseins schenke ich dir die Möglichkeit,
zu erkennen, ob das, was du bisher
lebtest, eigentlich das deine war.“
Ich hatte ja zu dem
Zeitpunkt eine langjährige Partnerschaft hinter mir- gabs da etwas zu erkennen?
Mit Sicherheit, denn zum ersten Mal im Leben sah ich mich dazu aufgerufen, mich
wieder ernst zunehmen, die Belange meiner Seele an die höchste Stelle zu
setzen.
Ich hatte nämlich in meiner Beziehung erfahren:
Man kann sich auch zu zweit sehr rasch allein fühlen – doch das
sollte eigentlich niemals Zustand in einer Beziehung sein! War es auch mit
Schmerz verbunden- ich brauchte exakt diese Erfahrung, um überhaupt in das
Bewusstsein zu gelangen, was Partnerschaft wirklich heißt. Gemäß des
Polaritätsgesetzes kommen wir nicht dran vorbei, erst den Pol zu durchleben,
der schmerzt, um dann das für uns Richtige in Betracht ziehen zu können.
Aus der „falsch gelebten Partnerschaft“ hab ich dann nämlich
die gedankliche Erkenntnis gewonnen:
Eine gesunde Partnerschaft lebt vom gegenseitigen
respektvollen lebendigen Austausch mit dem Bestreben, einander Bereicherung zu sein- Heilung zu
schenken- zusammen zu lachen, zu lieben, zu tanzen- und dennoch die Schönheit
der Individualität zu bewahren. Zwei Leben finden sich zusammen, um gemeinsam
ein noch schöneres reicheres Leben zu erschaffen.
Hat uns niemand von den Erwachsenen früher so erzählt- doch
war auch nicht möglich, weil sie ihr Wohl und Wehe vom Außen abhängig machten,
verursacht durch die Unliebe zu sich selbst. Diese Wahrheit musste daher ganz
allein durch Erfahrung des Gegensätzlichen in mir heranwachsen.
Ich bin nicht der Mensch, der im Außen nach Ablenkung sucht,
weil ich auch hier sehr bewusst vorgehe und mir sagte: Alles, was ich brauche,
trage ich in mir und es ist an mir, diese Kostbarkeiten zum Vorschein zu bringen-
erst einmal fähig zu werden, mich allein zu erfüllen. Gott hat jeden von uns so
reichlich beschenkt. Ja, vielleicht ist da manchmal das Gefühl der Leere- doch
auch sie muss sein, damit wir uns immer mehr und mehr selbst entdecken, um in
unsere Fülle zu kommen.
Nach so viel Vorbeileben an meinen eigentlichen
Seelenbedürfnissen nehme ich mir bewusst die Freiheit, immer wieder innezuhalten,
um zu erspüren, was meine Seele sich wünscht. Nicht ohne Grund malte ich mal aus dem Moment heraus eine Art von Seelensehnsuchtsbild-
ohne viel zu überlegen- ich malte einfach drauf los, weil ich wissen wollte,
was da in mir rief! Und wo fand ich mich wieder? Mitten in der Natur- da war keine Spur vom Materiellen- da
gabs nur Bäume, Blumen, Krabbeltiere, Schmetterlinge, Vögel- Idylle durch und
durch und ich mitten drin. Es sah zwar aus wie ein von Kinderhand erstelltes
Bild- aber ist es nicht genau das, was in uns ruft? Zieht es den Menschen nicht
eigentlich zu allem Natürlichen hin oder zurück? Ruft die Seele nicht nach
diesem Gefühl der Verbundenheit?
Da kommt mir wieder die junge Frau in den Sinn, die in Afrika ihr Lebensglück gefunden hat-
mitten im Busch zwischen all den Tieren und davon erzählte, dass es durchaus
vorkommt, zum Frühstück Besuch von Elefanten zu erhalten. Wo sind wir wirklich
zu Haus?
Es ist nur eine rhetorische Frage, weil ich es schon in
jungen Jahren erspürte: Man muss sich nur der Stille hingeben, um seine Antworten
zu erhalten und die meine erhielt ich als gefühlter unbedeutender „ Punkt“ am Strand,
überwältigt von dem Naturschauspiel, das sich mir bot. Einer Freundin von mir
ging es ähnlich, als sie sich allein auf dem Gipfel eines Berges befand und in
dem Moment das Gefühl der Verbundenheit
einatmete. Man taucht ein in diesen Zauber und die Schönheit des
Augenblicks und vergisst alles, was Zeit, Alltag, Probleme, Sorgen heißt…….man
vergisst sich wahrlich selbst, weil man sich als ein Teil des großen Ganzen
erfährt.
„Was ich bin, ist nichts-
was ich suche, ist alles!“
unbekannt
Nun frag ich mich natürlich: Wenn solch ein Augenblick des
tiefen Erlebens mir das höchste Seelen-Wohlgefühl beschert, wie nichtssagend
ist dann all das, was man uns als unentbehrlich suggeriert? Ich fand auch eine
Bestätigung meiner Erkenntnis:
„Glück ist ein Bewusstseinszustand der Seele, wo der Mensch
in Harmonie mit sich und der Welt kommt.“
„Den Weg zu studieren heißt: sich selbst zu studieren.
Sich selbst zu studieren heißt: sich selbst zu vergessen.
Sich selbst zu vergessen heißt: in Harmonie zu kommen, mit
allem, was uns umgibt.“
All diese Thesen sind nur erlesen- doch die Autoren werden
gewusst haben, was sie da schreiben! Mir wurde angesichts dessen wieder so
klar, was Leben wirklich heißt und warum unser Dasein von so viel Schmerz der
Enthäutung begleitet sein muss! Wir würden sonst nicht in diese tiefen
Lebenswahrheiten, unseren wahren Seelenfrieden hineinwachsen! Und der Zustand
hat extrem viel mit dem gemeinsam, was wir als Kinder wie selbstverständlich
empfanden und lebten: eins zu sein mit allem, was uns umgibt!
An dieser Stelle kann ich mir das Kopfschütteln nicht
verkneifen, wenn ich mir vor Augen führe, durch welche Prioritäten sich unsere hochentwickelte
Wohlstandsgesellschaft darstellt. Es wird produziert auf Deubel komm raus-
exportiert, importiert- an führerlosen Autos - am Einzug der künstlichen
Intelligenz gearbeitet …….der Mensch kann haben, was er will- kein materieller
Wunsch bleibt offen……doch will der Mensch das eigentlich wirklich in seinem
tiefsten Inneren? Eigentlich bedarf es keiner
einzigen materiellen Sache, um ein tiefes Wohlgefühl zu erleben. Es reicht,
wenn wir uns mit unserem ganzen Sein dem gegenwärtigen Augenblick des
Empfindens hingeben.
Ich für meine Person bevorzuge bewusst das Minimalste an
Materiellem und bin trotzdem glücklich, weil meine inneren Antennen eine völlig
andere Richtung bevorzugen: ich lege Wert auf alles, was mich zu berühren weiß-
was meiner Seele ein Lächeln schenkt und von innerem Wohlgefühl spricht. Ich
glaub auch nicht, dass mich jemals ein begehbarer Kleiderschrank oder das
neueste technische Highlight in der Tiefe berühren könnten. Da spüre ich mich
ja nicht und ich will mich spüren, so, wie es mir als Kind wie
selbstverständlich möglich war.
Ja, ich denke schon, dass ein erfülltes Leben den hohen
Anspruch der Eigenverantwortung an uns stellt, denn jeder muss für sich selbst
entscheiden.
Ich halte es einfach wie Goethe:
„Glücklich der Mensch, der das Ende seines Lebens mit dem
Anfang gleichsetzen kann.“
*Linda*
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