Die gute Zeit fällt nicht vom Himmel…
So sehr wir uns auch wünschen, unser Leben möge von heute auf morgen eine positive Wende
nehmen….. ohne Schmerz, ohne Probleme, ohne Sorgen…dafür voller Leichtigkeit
und Lebensfreude….
Leider widerstrebt das ganz und gar dem natürlichen Prinzip
von Leben. Im Alltag mag es ja zutreffen: Heute wird ein Artikel bestellt und
morgen ist er schon da! Doch wer sich auf die Gesetzmäßigkeit des Lebens
einlässt, der begreift irgendwann:
Die gute Zeit, mit allem, was dazugehört, fällt wahrlich nicht vom Himmel, weil alles, für das es sich wirklich zu leben lohnt, viel Geduld erfordert. Alle kostbaren Dinge entwickeln sich über eine lange Zeit bis hin zur vollen Blüte. Das betrifft die wahre Liebe, die tiefe Freundschaft und auch jede stabile bereichernde Partnerschaft. Nichts davon ist mal eben so auf Knopfdruck da.
Einen kleinen Trost gibt es. Die gute Zeit fällt uns zwar
nicht in den Schoß, aber wir dürfen sie als ein Geschenk des Lebens in Empfang
nehmen, wenn wir bereit sind, uns auf den natürlichen Werdegang einzulassen.
Nun gut, der ist nicht gerade simpel- fast sogar etwas paradox- denn bevor wir
auf den Wolken der Leichtigkeit unser neues Leben tanzen, geht’s erst einmal
bergab.
Ich glaube, das beste Beispiel gibt uns hier ein kleines
Weizenkorn. Wie könnte es jemals Frucht bringen, wäre es nicht zuvor in der
dunklen Erde versenkt worden?
Schon in der Bibel ist zu lesen:
„Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt,
bleibt es allein. Wenn es aber stirbt, bringt es reiche Frucht.“
Wenn dies in der Natur ein ganz normaler Wachstumsprozess
ist- warum sollte es bei uns Menschen dann anders sein? Erst kommt so etwas wie
ein gefühlsmäßiger kleiner Tod, damit überhaupt die Chance besteht, dass sich
neues Leben entwickeln kann. Ich finde,
das macht durchaus Sinn.
Und sowieso: Wer so wie ich der Ansicht ist, nicht in diese materialistisch
eingestellte kalte herzlose Welt zu passen, für den ist es doch eine
willkommene Einladung- eine total andere Daseinsform kennen zu lernen! Dann
haben wir doch gar nichts zu verlieren- im Gegenteil- es kann alles nur noch besser werden.
Ja, was macht so ein Weizenkorn in der dunklen Erde? Ich
habs zwar noch nicht dabei beobachtet, könnte mir aber vorstellen, dass es
darum geht, die harte Schale zu knacken, um dem inneren Kern frei zu legen,
denn nur aus ihm entwickelt sich später die gute Frucht.
Würde ich hier einen Vergleich anstellen wollen, auf uns
Menschen bezogen: Aus Erfahrung weiß ich zu sagen, dass gerade die dunkelsten
Zeiten in meinem Leben extrem dazu beitrugen, um meine äußere Schale zu
knacken. Immer, wenn ich am Boden lag, mich voller Ausweglosigkeit in den
dunkelsten Nächten befand, ging ich danach „irgendwie anders“ heraus, als ich hineinging. Nicht von ungefähr wurde ich zum Befürworter
des Schmerzes, denn nichts holt so rasch und intensiv das Beste aus uns heraus
wie das Leid in seinen unzähligen Facetten.
„Sieh in der größten Tragödie die Schönheit des Prozesses.“
Ein mir unbekannter Verfasser beschrieb es einmal so: „Um
ein erfülltes Leben führen zu können, musste ich meinen Verstand verlieren.“
Ja, ich bin der festen Ansicht, dass diese ganze Palette der
schmerzhaften Herausforderungen letztendlich dazu beiträgt, dass wir die recht
harte Schale des Verstandes zum Platzen bringen, um so den wunderschönen
weichen sensiblen Kern in uns freizulegen.
Da sind nämlich hinsichtlich völlig überholter
Glaubensmuster unzählige Kindheitsfesseln - da sind alte Überzeugungen,
Gewohnheiten, Scham- und Schuldgefühle, Gefühle der Minderwertigkeit,
Ängste….und so vieles mehr. Und all diese Fesseln verhindern, dass unser wahrer
Kern sich entfalten kann.
Als mir 2011 diese
Möglichkeit geschenkt wurde, da wusste ich instinktiv: Jetzt oder nie. Entweder
lebte ich mein chaotisches unerfülltes Verstandesleben so weiter wie bisher
oder ich setzte alles daran, um mich diesem Prozess voll und ganz zu stellen. Ich
weiß noch sehr gut, dass ich in dem Zusammenhang regelrecht aufatmete, als ich
die Texte von Ulrich Schaffer las. Hey, dachte ich voller Freude- da wird einem
zum ersten Mal dargelegt, dass es so was wie
die Rechte des Menschen gibt!
Da war z.B. zu lesen:
- Jeder Mensch hat das Recht, sich selbst zu lieben,
sich bei sich selbst wohl zu fühlen,
sich zu entdecken und kennenzulernen,
wie man einen geliebten Menschen
kennenlernt.
- Jeder Mensch hat das Recht, seine dunklen Stunden zu durchleben,
ohne Rechenschaft darüber abgeben zu
müssen.
- Jeder Mensch hat das Recht, Fehler zu machen.
- Jeder hat das Recht, sich selbst nicht zu verstehen.
- Jeder hat ein Recht auf alle seine Gefühle.
- Jeder Mensch hat das Recht, zu zweifeln, zu verzagen, die Fassung zu verlieren,
denn es ist kein Zeichen von Stärke,
immer nur stark zu sein.
es ist kein Zeichen von Schwäche, auch
schwach zu sein.
- Jeder hat das Recht, sich zu freuen, ausgelassen zu sein,
zu entspannen und glücklich zu sein.
- Jeder hat das Recht, sich gegen Bevormundung zu wehren,
um zu
seiner eigenen Meinung zu finden.
Ulrich Schaffer
Heute ist mir so was von klar: Das, was Ulrich Schaffer die
Rechte des Menschseins nennt, wäre für uns alle in der frühen Zeit ein
wahnsinnig guter und hilfreicher Einstieg ins Leben gewesen. Dann wären uns
diese einschnürenden Fesseln erspartgeblieben. Leider verlief es anders und
darum bin ich mittlerweile soweit, dass ich sage:
Es kann im Leben- egal, wie alt wir sind- nichts wichtiger
sein, als uns von diesen Kindheitsfesseln zu (er)lösen. Ich könnte auch sagen: Wir sind geradezu
berufen, uns verwandeln zu lassen- mit der Folge: Wir dürfen uns wieder durch
und durch als der! MENSCH fühlen, der wir wirklich sind- mit all unseren
dunklen und hellen Seiten, mit Stärken und Schwächen, mit allen Gefühlen, die
da in uns beheimatet sind.
Bringe dein zartes Wesen zum Ausdruck- so könnte die
wichtigste aller Lebensdevisen lauten.
Es war ja Dostojewski, der schrieb:
„Die guten Zeiten fallen nicht vom Himmel-
sie sind in unserem Herzen eingeschlossen.“
Wann immer wir uns ein erfülltes glückliches Leben wünschen:
Das wird uns nur dann zuteil, wenn wir fähig sind, unser Herz ganz weit zu
öffnen- für uns selbst und für jeden anderen Menschen. Nur dann werden wir in
den Genuss kommen, zu erfahren, was wahre Liebe, erfüllende Sexualität, echte
Freundschaft, fruchtbare Partnerschaft bedeuten.
Wir müssen befreit sein, um überhaupt lieben zu können, denn
nur, wer sich selbst aus ganzer Seele liebt und annimmt, wird wahrhaft lieben
können. Und weil ein Leben ohne das Gefühl der Liebe sinnlos und leer ist,
dürfen wir uns freuen, wenn der Prozess der inneren Verwandlung seinen Lauf nimmt. Wenn er auch schmerzt- wir
sollten immer im Blick behalten, was da auf uns wartet! So befreit und erfüllt
haben wir noch nie gelebt!
Es gibt eine interessante Aussage, die lautet:
„Probleme sind wie Waschmaschinen.
Sie verdrehen uns,
schleudern uns herum,
schlagen uns nieder,
aber am Ende werden wir sauberer, heller und reiner als
zuvor.“
Viele schmerzvolle Erfahrungen habe ich gemacht auf meiner
Reise- aber keine davon möchte ich missen, denn sonst wäre ich nicht der
Mensch, der ich heute bin. Vielmehr bin ich dazu übergegangen, alle
Erfahrungen- ob gute oderschlechte- zu umarmen und sie in Liebe, Freude und
Dankbarkeit zu verwandeln. Das Leben will uns ja niemals böse mitspielen, wenn
das Leid mal wieder zu Besuch kommt. Im Gegenteil! Wir erhalten lediglich das
einmalige Angebot, die schönste Version Mensch zu werden. Darum vermag ich den
Hinweis zu verstehen:
„Bitte im Leben nicht um eine leichte Last, sondern um einen
starken Rücken und ganz viel Kraft, um den Weg zu gehen.“
Es ist ein Trugschluss, wenn uns die Welt weiszumachen
versucht, dass das Dasein kontinuierlich einen Aufenthalt auf Wolke sieben
verspricht. Um der Mensch zu werden, der wir sein können, bzw. in der Tiefe
wirklich sind, werden wir an den Schmerzperioden nicht vorbeikommen. Es sei
denn, wir bevorzugen ein Leben an der Oberfläche, das uns für alle Zeit nur
innere Leere und die ständige Suche nach dem gewissen „Etwas“ beschert.
Die Welt versteht sich „wunderbar“ darauf, uns zu erzählen,
dass man mit Geld, Status, Besitz den Himmel auf Erden hat, dass sich spontan
alle Träume erfüllen. Doch ohne ein Herz , das fühlen und lieben kann, ist all
das rein gar nichts wert. Dann gehen wir von dieser Erde, ohne jemals richtig
gelebt zu haben.
Wir sind nun mal Menschen und keine Maschinen und daran wird
sich auch nichts ändern-
genauso wenig wie an den menschlichen Bedürfnissen. Jeder
von uns fühlt sich dann am wohlsten, wenn er die Wärme eines liebenden Herzens
verspürt- wenn er sich angenommen fühlen darf um seiner selbst willen und für
seine Seele ein liebevolles Daheim gefunden hat.
Denn: Die gute Zeit fällt zwar nicht vom Himmel, aber wir
dürfen sie in unseren Herzen spüren- dann, wenn wir in uns selbst angekommen
sind.
*Linda*