Die vergessene Melodie unserer Seelen
Als was dürfen- nein, müssen wir das Leben eigentlich
begreifen? Hugo von Hofmannsthal gab da eine konkrete Antwort, denn er
bezeichnete das Leben als ein immerwährendes Wiederanfangen. Von daher ist
Leben ständig in Bewegung- stimmt übrigens auch mit meinem Bild des
Lebensflusses überein. Allein diese Vorstellung lässt mich die Fragen stellen:
Warum ist das so? Warum können wir Leben nicht als eine durchgängige Laufbahn sehen, so wie im Sport? Da starten die Läufer, bewältigen in einem Lauf ihre vorgeschriebene Strecke und kommen am Ziel an. Wenn es nach Hugo von Hofmannsthal geht, dann gibt’s stattdessen im Leben unzählige Startpositionen, folglich ebenso viele Zielorte und glaubt man voller Freude, ein Ziel erreicht zu haben , geht’s auch schon wieder von vorne los!
Dazu meint Thomas Zerlauth:
„Jedes Ergebnis ist gleichzeitig ein neuer Beginn.“
Nun gut, so ganz fremd sind mir diese Wahrheiten nicht mehr, denn irgendwann ging ich dazu über, mein Leben als eine Treppe mit unzähligen Stufen zu sehen. Ich begriff recht schnell: Es wird niemals möglich sein, auch nur eine einzige Stufe auszulassen oder der Bequemlichkeit halber statt der Treppe einen Fahrstuhl zu nehmen, um rascher anzukommen. Diese Tatsache macht Leben zu dem, was es ist: ein ständiger Prozess des Wachsens und wir wachsen enorm- ein jeder auf seine Weise, in seinem ganz eigenen Tempo.
Für mich ist Leben
…… eine Reise vom Verstand ins Herz….
……eine Reise in unsere vergessene und vernachlässigte Innenwelt….
……..eine Reise vom „Nichts“ ins „Etwas“..
……eine Reise in unsere tiefsten Seelenwahrheiten…
…..eine Reise in ein völlig neues Bewusstsein und eine neue Dimension von Leben.
Klingt es auch etwas hart, aber irgendwie kommt der Lebensverlauf einem kleinen Sterbeprozess gleich. Doch darin ist so viel Hoffnung, denn: wohin sollten wir denn sterben, wenn nicht in ein viel schöneres zufriedeneres „höheres“ Leben hinein? Es kann alles nur besser werden, denn längst bin ich zu der Ansicht gekommen:
Wir sensiblen, uns nach Liebe sehnenden MENSCHEN sind in dieser Welt völlig deplaziert und je länger wir uns in ihr aufhalten, ihren Maßstäben treu bleiben, umso mehr entfernen wir uns von uns selbst, bzw. vom eigentlichen Sinn des Lebens.
Ich denke, wenn wir Folgendes mit einbeziehen, dann wächst das Verständnis für den Sinn unseres Hierseins:
Wir sind weitaus mehr als unser Körper- auch mehr als unsere berufliche Stellung, unser Ansehen oder unser Geld! Wir sind hier, um uns als UNSTERBLICHE Seelen auf einer Erinnerungsreise zu begreifen….und allein dieser Umstand der Unsterblichkeit wirft ein völlig neues Licht auf den Sinn unseres Daseins! Unser aller Leben hier auf Erden ist begrenzt- ruft von daher eh nicht dazu auf, dass wir uns mit dem Gedanken des ewigen Bleiberechts häuslich einrichten. Alles, was wir hier an Materiellem, an Status, Anerkennung usw. erwerben, ist der Vergänglichkeit geweiht- eher uninteressant, weil es um weitaus Wichtigeres geht!
Für mich ist Leben eher ein kurzer Gastbesuch auf dieser Erde, denn ich hielt mir vor Augen, wohin ich als diese unsterbliche Seele unterwegs bin!
Hier passen folgende Worte recht gut:
„Obwohl wir Gott nie gesehen
haben, sind wir wie Zugvögel, die an einem fremden Ort geboren, doch eine
geheimnisvolle Unruhe empfinden, wenn der Winter naht, einen Ruf des Blutes,
eine Sehnsucht nach der frühlingshaften Heimat, die sie nie gesehen haben und
zu der sie aufbrechen,
ohne zu wissen, wohin.“
Ernesto Cardenal
„Gott, du hast uns auf dich hin geschaffen, und
unruhig ist unser Herz, bis es Ruhe findet in dir.“
Augustinus von Hippo
Es geht nämlich irgendwann wieder nach Haus, zurück
in die Einheit, aus der wir kommen – eine Einheit, die voller Harmonie, Wärme,
Liebe und Frieden ist- es sind halt unbeschreibliche himmlische Zustände. Wie
formuliere ich es nur zu gern? Der Fluss will zurück zum Meer und diese tiefe
Sehnsucht lässt unsere Seelen stetig unterwegs sein. Sie lassen sich durch rein
gar nichts davon abbringen, dieses Ziel zu erreichen. Doch eine jede Seele weiß
auch, dass sie hier auf Erden erst lernen muss, was sie sich vorgenommen hat-
denn unsere Erdebene bietet die optimalen Voraussetzungen, nur hier gibt’s die nötigen Kontraste des
Dunklen, bzw. Hellen.
Schließlich möchte sich jede Seele daran zurückerinnern,
wer- sie- denn wirklich ist und leider gehts nicht anders, als zuvor das zu
durchleben, was sie nun so gar nicht ist! Ja, sie muss zuerst durch all das
Dunkle, was so unsagbar schmerzt- doch ohne diese dunklen Erfahrungen würde es keine Licht- bzw. Liebeserfahrung
geben. Im Grunde ist Seele darauf hinaus, hier auf Erden ihr wahres Wesen zu
erschaffen und das ist nun mal nichts Anderes als reine Liebe! Nur- der Weg in
diese Erkenntnis, der will gegangen sein.
In einem meiner Bücher ist das Ganze sehr
anschaulich dargelegt:
Der Autor benutzt das Bild der Musik und bezieht
sich auf die Melodie, welche wir in unserer gängigen Welt wahrnehmen. Ich
vermochte nachzuvollziehen, was er
meinte, denn hinsichtlich meines Erlebens stießen mir die schrillen gesellschaftlichen
Töne immer schon bitter auf. Irgendwie vernahm ich eine Disharmonie, denn das,
was ich hörte, wollte sich nicht mit dem vereinbaren lassen, was ich fühlte,
was mir gut tat. Folge: Ich fühlte mich einfach nicht heimisch, denn die Klänge
waren zu kalt, viel zu weit weg, stießen mir bitter auf- sie berührten meine
Seele nicht. Meine Seele liebt nämlich von jeher die wohltuenden Klänge, die
von Geborgenheit, Wärme, Mitgefühl, Verständnis, Frieden, Liebe, Wertschätzung,
Achtsamkeit , Füreinanderdasein, Hilfsbereitschaft „singen“.
Doch keine Erfahrung ist bekanntlich umsonst, denn
hätte ich diese weltliche „musikalische“ Disharmonie im Außen nicht vernommen-
wie hätte ich Sehnsucht entwickeln können nach der Musik, die mich erfüllt? Und
welchen Weg wählte ich, um diese Klänge zu erfahren? Mir wurde bewusst, dass es
nur eine einzige Richtung gab: Ich musste mich in meine innere Welt begeben und
wer hätte es gedacht? Hier fand ich all das, was ich seit Ewigkeiten im Außen
vergeblich suchte!
IN MIR, da spielt/e genau die Musik, die ich als
meine wohltuende Lebensmelodie bezeichne!
Es ist die Melodie meiner Seele und sie singt in
den wärmsten Tönen!
Diese Melodie, das bin nämlich wirklich ich und
nicht nur das! Jeder von uns trägt sie IN SICH- und das von Anbeginn an! Wir
müssen uns nur wieder daran erinnern!
Die Welt da draußen, sie wird weiter musikalische
Disharmonien erzeugen, denn so lange der Verstand auf dem Thron sitzt, wird
sich daran nichts ändern. So lange Menschen der Ansicht sind, dass es hier im
Leben um Besitz, Macht, Rechthaberei, Ruhm und Ehre geht, hat die Seele gar
keine Möglichkeit, ihre Melodie erklingen zu lassen.
Doch wir dürfen von Glück sprechen, dass jede Seele
enorm zielstrebig ist und sich nie und nimmer davon abbringen lassen wird,
eines Tages in ihren musikalischen göttlichen Ausgangsmodus zurückzufinden.
Eines Tages wird der Verstand abdanken und der Seele den Thronsitz zusprechen!
Und ich glaube, dann wird unsere ganze Welt um ein Vielfaches heller,
freundlicher, liebevoller!
Ja, irgendwie kommt es einem Erwachen gleich, denn
wir werden uns verwundert fragen: Was hab ich da eigentlich ein Leben lang für
eine schiefe Melodie geträllert, bzw. auch noch befürwortet? Ständig war ich der Ansicht, ich müsse erst
noch was tun/ sein/ haben, um der Liebe und Zuwendung wert zu sein!
Völliger Blödsinn- denn wir alle sind gut so, wie
wir sind, denn so sind wir von Gott gewollt und geliebt! Und sowieso: Gefallen
müssen wir nur IHM und uns selbst!
Ist es zu verstehen, dass ich alle Querelen des
Lebens absolut positiv sehe? Wir sind nicht hier, um sinnlos zu leiden- oh
nein! Wir brauchen all die Probleme, all den Schmerz, weil wir nur so in unsere
wahre innere Größe wachsen können! Alle Krisen sind hilfreich, damit wir uns an
unsere innere Schönheit zurückerinnern! Für die Seele ist die Erfahrungsreise
eher etwas total Neutrales, denn sie weiß ja, warum sie diese oder jene
Erfahrung braucht. Sie wird sich höchstens freudig sagen: Oh wie schön, ich
darf wieder ein bisschen mehr über mich erfahren und wachsen.
Niemand von uns war oder ist jemals ein Opfer des
Lebens- jeder ist eine Seele, welche erfahren möchte, wie schön sie eigentlich
ist- dass sie pure Liebe ist und durchaus fähig, die wohltuende Sinfonie ihrer
Seelenheimat nachzukomponieren.
Wie zu Beginn betont: Wenn wir uns als unsterbliche
Seelen mit Sehnsucht nach der ewigen Heimat voller Harmonie und Frieden anerkennen,
dann wird klar, was Seele schon hier auf
Erden an Heimatgefühl erfahren möchte: Harmonie, Frieden, Liebe, das Gefühl der
Geborgenheit im Einssein. Denn dann kann
sie voller Freude sagen: Ja, das bin ich- das ist meine Lieblingslebenswohlfühlmelodie,
nach deren Klängen ich mich so lange sehnte. Sie fühlen sich so nach daheim
sein an!
Nun könnte man sagen: Was ist denn das für ein
sentimentaler Blödsinn- doch ich bin fest davon überzeugt:
Gott legte in uns alle eine Spur der Sehnsucht hinein, die uns halt unterwegs sein lässt und das ist ein unsagbares Glück! Wir müssen nur still werden und uns fragen: Wann fühlen wir uns eigentlich am lebendigsten? Wann spüren wir so etwas wie seelisches Glück? Davon ab: Kann es sein, dass wir erst wieder lernen müssen, was seelisches Glücksempfinden ausmacht? Und das ist eigentlich gar nicht so schwer zu ermitteln, denn es stellt sich ein, wenn es sich innendrin angenehm stimmig und freudevoll ANFÜHLT!
Hier komm ich wieder nicht drum herum, meine „jugendliche
Erfahrung“ anzuführen: meine erste Begegnung mit dem Meer! Allein stand ich da
am Strand und konnte mich nicht sattsehen (fühlen) an der unendlichen Weite- an
diesem immensen Naturschauspiel, das mich in das Empfinden führte, nur ein
klitzekleiner Punkt von etwas ganz ganz Großem- Unerforschlichen zu sein! Da
hab ich mich wahrlich lebendig und glücklich gefühlt….denn ich tauchte nicht
mit dem Verstand, sondern mit meiner Seele in dieses tiefe Erleben hinein. Es
muss mir wohl in diesen Momenten ein Stückchen Heimatgefühl vermittelt haben.
Wo sind wir wirklich zu Hause? Diese Frage stellte
ich mir danach mehr als einmal und mehr als einmal schüttelte ich den Kopf,
wenn ich mir anhörte, was die gängige Welt uns dazu erzählte! Kann ich denn
daheim sein im begehbaren Kleiderschrank, in einer pompösen Luxusvilla oder auf
dem Aktienmarkt? Finde ich meine Heimat im Schulterklopfen Anderer oder gar im
grellen Scheinwerferlicht der perfekten Bühnenpräsenz? Fakt ist: Dort wird nur
einer sich Zuhause fühlen und das ist der Verstand!
Ich für meine Person bin nur dort daheim, wo meine
Seele sich vor Wohlgefühl räkelt, wo sie die Möglichkeit erhält, sich den
vertrauten Klängen ihrer individuellen Heimatmelodie hinzugeben und wo ich
einen Platz finde, an dem ich „einfach“ sein darf.
Übrigens gefällt mir eine Aussage sehr gut:
„Jede Seele ist die reinste Existenzform unserer
selbst, die man sich nur vorstellen kann.“
Von daher gibt es für mich im Leben kein höheres
Reiseziel, als in diese Existenzform zurückzufinden….und ich denke, das lässt
uns unterwegs sein, ob bewusst oder unbewusst.
*Linda*
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